„Die armen Vögel! Bald müssen sie wieder hungern und frieren. Gut, dass es mitleidige Menschen gibt, die ihnen helfen und Futterhäuschen aufstellen.“

Solche oder ähnliche Gedanken spuken alljährlich zum Winteranfang in vielen Köpfen, werden Kindern ans Herz gelegt und leider sogar in manchen Schulbüchern gedruckt. Wie kommt es zu dieser vermenschlichenden und biologisch falschen Auffassung?

Die meisten Menschen in Mitteleuropa haben das bewusste oder unbewusste Bedürfnis, das Leben ihrer Mitlebewesen (Pflanzen und Tiere) zu erhalten. Nur wissen sie oft nicht wie. Besäßen sie gründliche biologische Kenntnisse, wüssten sie es sicherlich! Hungern und frieren Vögel im Winter?

Keineswegs, denn

  • Vogelarten, die in Ihrer Ernährung auf Insekten oder im Boden lebende Kleintiere spezialisiert sind, wie z. B. Mauersegler, Schwalben, Fliegenschnäpper, Laubsänger, Kiebitze und Schnepfenvögel, ziehen im Winter in südliche oder westliche Regionen, in denen sie diese Nahrung in ausreichender Menge finden.
  • Andere Vogelarten bleiben so lange in ihrem Brutgebiet, bis starker Frost oder hoher Schnee die Nahrungssuche unmöglich machen, z. B. Eulen, Reiher Gänse, Enten („Winterflucht“)
  • Wieder andere stellen sich zum Winter auf andere Nahrung um: von Kerbtieren und Würmern im Sommer auf Beeren und Samen im Winter, z. B. Drosseln, Rotkehlchen, Meisen, Spechte.
  • Wasservögel drängen sich in großer Zahl an nahrungsreichen Gewässerstellen zusammen (Scharbildung) und verhindern durch ihre Schwimm- und Tauchbewegungen das Zufrieren des Wassers (Enten, Schwäne, Bläßrallen, Teichrallen).
  • Die sogenannten Standvögel z. B. Amsel, Dohle, Buchfink, schränken bei niedrigen Temperaturen ihre Bewegungen ein, so dass sie auf Grund des geringeren Energieverlustes mit weniger oder auch an manchen Tagen ohne Nahrung auskommen (Amseln, die normalerweise rund 100 Gramm wiegen, haben zu Winterbeginn ein Gewicht von 150 g, also eine Reserve von 50 Gramm!)
  • Sie können ihr Gefieder so aufplustern, dass die Luft zwischen den Federn vor Kälte schützt. Viele Vogelarten bekommen nach der Brutzeit ein neues Federkleid mit bis zu 10 Prozent mehr Federn (Herbstmauser).

Winterfütterung kann sogar schädlich sein

Sie hält z. B. Meisen davon ab, ihrer natürlichen Aufgabe nachzukommen, überwinternde Eier, Larven und Puppen von Insekten im Garten zu vertilgen.

Nicht regelmäßig gesäuberte Futterhäuschen können zu Ansteckungsherden von Vogelkrankheiten werden.

Die Winterfütterung verhindert die für jede Tierart natürliche Auslese. Die Selektionswirkung geht verloren oder wird eingeschränkt.

Zugvögel, die in Höhlen brüten (z. B. Gartenrotschwanz, Trauerschnäpper) finden bei ihrer Rückkehr keine Bruthöhlen, da diese von den vielen durch Fütterung zahlreich gebliebenen Wintervögeln besetzt sind.

Keine der von den Futterhäuschen profitierenden Vogelarten ist im Bestand bedroht, auch nicht der Sperber, der sich hier ab und zu einen Grünfink oder ein Rotkehlchen holt.

Die Winterfütterung von Vögeln ist keineswegs Naturschutz, wie viele meinen.

Die immer seltener werdenden Arten, wie Feldlerche, Braunkehlchen, Gelbspötter usw. haben davon gar nichts.

Die Millionen Euros, die für den Kauf von Vogelfutter ausgegeben werden, wären weit sinnvoller verwandt, wenn sie den Naturschutzverbänden für den Ankauf von Lebensräumen, wie Feuchtwiesen, Moore, Auwälder u.a. zur Verfügung gestellt würden. (ANTL, NABU, Sielmann-Stiftung, Komitee gegen den Vogelmord.)

Nicht für die Vögel, wohl aber für den Menschen sinnvoll kann Vogelfütterung nur dann sein, wenn Kinder dadurch die heimischen Vogelarten kennen lernen wollen oder wenn kranke und einsame Menschen keine andere Möglichkeit zum Kontakt mit der Natur haben.

Horst Michaelis