Bericht vom ANTL-Vortrag von Dr. René Krawczynski

Ein verendetes Tier: In unserer ordnungsliebenden Gesellschaft ist dies ein Stein des Anstoßes, in der Natur jedoch stellt ein Tierkörper die Nahrungsgrundlage einer Vielzahl anderer Lebewesen dar. Wer hätte vermutet, dass selbst Rotkehlchen, Blau- und Kohlmeisen ihren Eiweiß- und Fettbedarf gelegentlich am Körper verendeter Großtiere decken.

In einem sehr lebendigen Vortrag schilderte der Ökologe Dr. René Krawczynski von der Universität Cottbus am vergangenen Freitag im Naturschutzzentrum Sägemühle der Arbeitsgemeinschaft für Naturschutz Tecklenburger Land, wer vom Tod eines Rehs oder Wildschweins profitiert. In der Lieberose, einem ehemaligen riesigen Truppenübungsgelände im Südosten Berlins, gelangen mit Hilfe von Kameras eindrucksvolle Naturaufnahmen. Füchse, Baummarder und Marderhund, sowie Fischadler, Milane und Kolkraben konnten bei ihrer Nahrungsaufnahme am toten Tier beobachtet werden. Innerhalb kurzer Zeit war ein verendetes Tier bis auf das Skelett verschwunden. Aber auch für eine Vielzahl von Insekten und deren Larven ist der Tod eines größeren Tieres »ein gefundenes Fressen«. Fliegen legen ihre Eier ab, deren Larven die Nahrungsgrundlage für bestimmte Käfer darstellen. Selbst Schmetterlinge wie Trauermantel und Schillerfalter finden sich ein, wenn Blütenpflanzen nicht genügend Nektar liefern. Wer nicht direkt vom Aas profitiert, nutzt die Ansammlung von Kleingetier zum Jagen. Bei den von Dr. Krawczynski durchgeführten Untersuchungen trat so manche Überraschung auf, die Anlass zu weiteren Untersuchungen auf dem Gebiet der Aasökologie gibt.

Der Referent spannte auch einen Bogen zum fernen Indien. Bei der Glaubensgemeinschaft der Parsen gibt es den Totenkult, die Leichname auf hohen Gestellen aufzubahren.  Die Seelen der Verstorbenen sollen dann mit den Vögeln in den Himmel getragen werden.

Neuerdings fehlen die Vögel. Der hohe Einsatz des Medikamentes Diclofenac bei Rindern führte dazu, dass Geier, die von verendeten Kühen gefressen hatten, starben. Dieser Wirkstoff ist für Geier absolut schädlich, so dass ihre Bestände um 99 % zurückgegangen sind. Nun werden zur Wahrung des Totenkultes  Geier gezüchtet und ausgesetzt.

In Deutschland kommt es gelegentlich zu Einflügen von Geiern spanischer Herkunft. Vermutlich ist es Futtermangel, der die Tiere bis nach Mecklenburg-Vorpommern führt. Vielfach sind in Spanien die so genannten Schindanger, Flächen außerhalb der Wohnorte, auf denen tote Tiere abgelegt werden konnten, geschlossen worden und die Geier leiden Hunger. Dr. Krawczynski wies darauf hin, dass es nach einer neuen EU-Richtlinie wieder erlaubt sei, Tierkörper in der Natur zu belassen, wenn dies gefährdeten Tier- und Vogelarten dient so z. B. dem Rotmilan. Diese EU-Richtlinie hat bisher in Deutschland keine Umsetzung gefunden.

Die Forschungen von Dr. René Krawczynski sind von großer Bedeutung für die Pflege und Unterhaltung von Großnaturschutzgebieten, in denen Weidetiere für eine Offenhaltung der Flächen eingesetzt werden.